An essay on my artwork by professor Klaus Honnef, the curator for photography and new media at the Rheinisches Landesmuseum in Bonn, Germany, and the author of several books on art and photography.
Michael Anderson
Von Klaus Honnef
Sie tummeln sich überall. Steigender Wohlstand sichert ihr Biotop. Je mehr Konsum sich eine Gesellschaft zu leisten vermag, desto stärker ihre Population. Nicht weg zu denken sind sie aus den Gefilden des Sports, seit anno 1968 hier ihr erstes Exemplar auftauchte. Obwohl allgegenwärtig, werden sie gleichwohl kaum wahrgenommen. Am intensivsten noch, wenn bestimmte Ereignisse stattfinden, für die sie kreiert und massenhaft produziert worden sind. Die Rede ist von der merkwürdigen Spezies der Maskottchen. Die einen halten sie für die Exponenten einer Seuche. Die anderen können nicht genug von ihnen bekommen. Dem Maler Michael Anderson liefern sie die Motive für seine Bilder.
Ihr Gattungsname stammt aus dem Französischen, dem Land ihres ersten Auftritts anlässlich der olympischen Winterspiele in Grenoble. Dessen sprachliche Wurzeln liegen im Provenzalischen. Maskolo bedeutet Hexe. Die ursprüngliche Bedeutung verbindet sie mit dem Talisman. Ihm misst man übersinnliche Kräfte zu. Der wiederum ist Nachfolger des Amuletts und des Fetischs. Maskottchen gelten als Glücksbringer. Mancher spricht ihnen wie dem Talisman eine gewisse Beschützerfunktion zu. Im Englischen kursiert auch die Bezeichnung „character“ für sie. Was wenig mit der europäischen Vorstellung vom menschlichen Charakter zu tun hat, sondern eher für Bezeichnungen wie Kennzeichen, Sonderling und Unikum steht. Aber „charakter“ ist auch Synonym für eine Rollenfigur in einem Film.
Denen, die sie in die Welt setzen, dienen sie als die Bauern im Schachspiel des Marketings. Sie sollen bestimmten Ereignissen – im Sport etwa – oder bestimmten Institutionen – zum Beispiel der Polizei – oder bestimmten Produkten, die auf Erfolg programmiert sind, als Symbolfigur dienen und um Sympathie für sie werben. In der Regel werden die Maskottchen schnell vergessen.
Maskottchen sind hybride Kreaturen, oft in plastischer Gestalt. Entweder handelt es sich um Tiere mit menschlichen Eigenschaften oder um Gegenstände mit anthropomorphen Zügen. Ihre Paten sind in formaler Hinsicht die Figuren des Comics. Ihm verdanken sie die äußere Gestalt, die summarische Prägnanz und Eingängigkeit. Maskottchen gehören der optischen Erscheinungswelt ebenso an wie dem Universum der Abstraktion. Es sind reine Kunstfiguren, in die sich vielerlei hineinprojizieren lässt.
Den flüchtigen Phänomenen des diffusen Zwischenreichs aus Werbung, Glauben und Geschäft verleiht Michael Anderson in und mit seinen Ölgemälden Dauer. Auf den Spuren des Weges, den Marcel Duchamp mit seinen Ready mades in der (westlichen) Kunst der Moderne zu pflastern begonnen hat, isoliert er sie zunächst von ihrem funktionalen Alltagsgeschäft und siedelt sie im Herrschaftsbereich der Kunst an. Gleichzeitig unterzieht er die ausgewählten Motive einer tief greifenden ästhetischen Veränderung. Er treibt den Prozess des Abstrahierens rigoros weiter, indem er jeglichen noch so geringfügigen Anklang an die dritte Dimension tilgt und die Bildmotive rigoros in die Fläche zwingt. Darüber hinaus bettet er sie in ein neutrales monochromes Umfeld ein. Mitunter bleiben sie nicht allein, werden vielmehr in eine Interaktion mit weiteren Maskottchen oder dekorativen Mustern unterschiedlicher Herkunft verstrickt.
Mit dem Prozess der Abstrahierung vom ursprünglichen Aussehen seiner Bildfiguren verfolgt der Künstler ein bezeichnendes Ziel: „From the myriad of forms mascots come in I depict their ‚archetypical’ features in a manner that puts them on the threshold of abstraction, setting up an interplay between these vernacular characters and the traditions of abstract painting.“1 Das Ping Pong zwischen den Produkten des Gebrauchsgutes Design (vernacular characters) und den Errungenschaften der abstrakten Malerei, das seine Bilder veranstalten, führt zu einem disjunktiven Ergebnis. Einerseits transformiert es triviale Figuren in formale Elemente einer dekorativ-abstrakten Kunst. Andererseits (und zugleich) erinnert es an die ursprünglichen sozialen Funktionen der „Urahnen“ des Maskottchens in der Menschheitsgeschichte. Durch die Maske des Bilddekors vermittelt sich etwas von der magischen Kraft des Amuletts aus einstiger Zeit.
Wirken die gewöhnlichen Maskottchen vorwiegend niedlich – was bereits in der Verkleinerungsform des Begriffs anklingt –, um möglichst viel Neigung auf sich zu ziehen, erhalten sie in Andersons Gemälden ein Stückweit ihre beunruhigende Ausstrahlung zurück. Sie fügen sich ein in die Reihe der ambivalenten Karnevalsbilder europäischer Malerei von Pieter Brueghel bis James Ensor und Asgar John. Vor allem für Andersons Gemälde, die den Maskottchen Beine machen, gilt der Vergleich; doch mit der Einschränkung der formalen Unterschiede. Zweckfreie und zweckorientierte Tätigkeiten gleichermaßen scheinen die Bildfiguren auszuführen. Die Mehrzahl der Gemälde vergegenwärtigt indes Modelle in statischer Präsenz, einzeln und in Gruppen. Häufig werden die geometrischen Bildelemente, die in früheren Bildern um die Maskottchen herum tanzen, in deren flächenhaften Körperumriss einbezogen, als ihre Bestandteile. Dabei erscheinen sie bald als Applikation, bald als Ausschnitt. Dergestalt stören die dekorativen Muster die Flächenentfaltung des Bildfeldes. Denn sie erwecken für Augenblicke die Illusion eines Davor oder Dahinter auf der völlig planen Bildebene und provozieren sozusagen blitzartig und vorübergehend eine räumliche Vorstellung.
Tatsächlich ist es nur die Farbe, die solche Irritationen schafft, da Anderson sein Figurenarsenal so flächenhaft wie möglich organisiert und lineare Überschneidungen meistens vermeidet. Die Binnenflächen seiner Gemälde sind ebenso wie der Bildfond in anonymer Monochromie gehalten. Kein Pinselstrich verrät die malende Hand, keine Farbschwingung die leiseste Ahnung von Plastizität. Lediglich die Hell-Dunkel-Kontraste zwischen Bildfigur und Bildfond bewirken den Eindruck räumlicher Staffelung. Diese zeigt sich der Wahrnehmung allerdings nicht als eine kontinuierliche Entwicklung vom Vorder- zum Hintergrund, sondern als unaufhörliches Springen im Prozesse der Wahrnehmung: hin und zurück, hin und zurück. Mal tritt die Bildfigur, mal der Bildfond, mal aber auch eine der abstrakten Formen innerhalb der Bildfigur hervor. Je nachdem, welchen Bildteil das Auge betrachtet, realisiert sich das Neben- und Ineinander von Bildfond und Bildfigur als eine Art Klappmechanismus mit scheinbar ständig wechselnden Verortungen.
Wie sehr die irritierende Verunsicherung der Wahrnehmung ein ästhetisches Prinzip des Künstlers ist, illustriert ein Gemälde, das zusätzlich noch eine symmetrische Spiegelung der zentralen Bildfigur vorführt. Lediglich in der Farbtönung unterscheiden sich die beiden Bildhälften. Die obere gibt sich heller als die untere.
Michael Anderson legt seine Gemälde wie Scherenschnitte an. Die Motive werden als farbige Silhouetten sichtbar. Die Trennlinien sind klar ausgeprägt, weisen aber keine Kontur auf. Sie resultieren aus dem Zusammentreffen von Bildfigur und Bildfond. Offensichtlich haben die späten Decoupagen von Henri Matisse sowie die Pop Art, die ihrerseits Anregungen von Matisse verarbeitet hat, den Maler inspiriert. Die wichtigste formale Konsequenz dieser künstlerischen Entscheidung für die ornamentale Gliederung der Bildfläche besteht darin, dass der Bildfond seine vorwiegend passive Rolle als Hintergrund des Bildgeschehens aufgibt und neben den verschiedenen Bildfiguren zum gleichberechtigten Bildakteur wird. Der Bildfond stützt die Bildfiguren ebenso wohl wie er sie verschluckt. Es ist ein verwirrender optischer Konflikt.
Obwohl die abstrakte Malerei für die Bilder von Michael Anderson fruchtbare Anregungen geliefert hat, ist der Künstler nicht an der Herstellung eines selbstreferenziellen Bezugssystems gemäß ihrer Prämissen interessiert. Stattdessen erfüllen die formalen Operationen einen ganz konkreten Sinn, nämlich, den Modellen aus dem Kreis der Maskottchen eine letzten Endes beunruhigende Intensität zu verleihen. Die Maskottchen verlieren mit dem Entzug ihres niedlichen, vermenschlichten Outfits das vermeintlich harmlose Marketing-Design und verwandeln sich in höchst ambivalente Kreaturen, die der Praxis des Marketing, die Realität zu verniedlichen, entgegenwirken. Wie Halloween-Masken starren sie aus großen, häufig elliptisch geformten Augenhöhlen die Betrachter an. Ihre farbigen, leeren Augen – von Blick zu sprechen, verbietet sich – untergraben die bisweilen freundliche Einladung ihrer Gestik, so dass sich angesichts ihres Auftritts ein leises, kaum bewusstes Unbehagen einstellt.
Obwohl der Künstler lange in Los Angeles gelebt, Kunstkritiken geschrieben und seine Bilder ausgestellt hat, entdeckt er die wirklichen Umtriebe der Maskottchen erst bei seinen Reisen in Nord-Ost-Asien. „As I traveled around Notheast Asia I began to notice the ubiquitous creatures that are knwon collectivily as ‚characters’. While not strictly Asian in origin, practically every municipality, festival, and institution has one, including the police departements of Seoul (‚Podari’) and Tokyo (‚Pipo-Kun’). They can be animals, humans, or some anthropomorphic collision of the two... In the Asian megapolises of Seoul, Tokyo and Hong Kong, I saw how we are inundated by such images, to the point that are mostly ignored or glanced at and quickly forgotten.“2 Es bedurfte der fremden Umgebung, damit die Maskottchen ihm förmlich ins Auge sprangen. In den Kulturen Asiens besitzen sie womöglich auch einen anderen Stellenwert als im säkularen Europa und in den puritanischen USA. Sie gesellen sich zwanglos zu den vielen Geistern, die das Denken der Menschen bevölkern, als spielerische Varianten und Zeugen einer Kultur, die sich – hoffentlich – nicht zur Gänze den unerbittlichen Gesetzen eines rationalistischen Utilitarimus westlicher Provenienz ausliefern wird. Als solche irrlichtern sie in den Gemälden von Michael Anderson und repräsentieren auch hier einer Sphäre des Übersinnlichen.
1) Michael Anderson: Happy Mascots! Solo Exhibition at Jay Gallery, Seoul, 2010
2) Michael Anderson, Wanderlust, Asian Tigers, and Abstract Art with Charcter(s), Seoul, 2010
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